Dr. Christoph Nitschke

Systemische Aufstellungsarbeit - was ist das überhaupt?


Inhalt:
Wie sage ich es kurz und bündig - was würdest Du sagen?
Was heißt hier systemisch?
Warum lohnt es sich immer, auf Beziehungen zu schauen?

Welche Themen kannst Du ausfstellen?

In welcher Form findet eine Aufstellung statt?

Wie läuft eine Aufstellung typischerweise ab?

Vieles ist schon über Familienaufstellungen oder allgemein über systemische Aufstellungen gesagt und geschrieben worden. Nichts davon ersetzt das eigene Erleben, wenn Du noch nie live dabei warst. Trotzdem unternehme ich hier einen weiteren Versuch, Dir diese wunderbare Arbeit mit meinen Worten näher zu bringen – mit so wenig Worten wie möglich und mit so vielen wie nötig. Sei es, weil Du die Methode noch gar nicht oder nur vom Hörensagen kennst, aber trotzdem neugierig bist, mehr darüber zu erfahren. Sei es, weil Du zwar schon mitgemacht hast, Dich aber immer wieder mal fragst, wie Du es am besten anfängst, anderen davon zu erzählen.

Wie sage ich es kurz und bündig – was würdest Du sagen?

Jeder Mensch, der über seine Situation nachdenkt, in einem Problem steckt oder etwas Bestimmtes erreichen will, hat dazu Bilder im Kopf – bewusst oder unbewusst. Also auch Du! Mit einer Aufstellung gehst Du die Situation gezielt an und bringst Deine innere Vorstellung nach draußen. Du machst Dir ein Bild davon, das Du anschauen kannst und das auf Dich zurückwirkt. Jedoch nicht wie eine Malerin, die ihr Bild mit Pinsel und Farben zu Papier bringt. Auch nicht wie ein Bildhauer, der sein inneres Bild äußerlich in Stein meißelt. Und doch sind da Ähnlichkeiten.

Denn Aufstellung bedeutet, dass Du Deine Situation in einen dreidimensionalen Raum stellst. Alles was in Deiner Situation wichtig ist, bekommt in Deinem Raumbild einen Platz und steht dann in Beziehung zueinander. Je nach Form der Aufstellung wird das Wichtige durch sog. „Platzhalter“ bzw. „Bodenanker“ (z.B. Holzfiguren, Kissen, Papierformen) oder menschliche Stellvertreter/innen im Bild repräsentiert, die von Dir „an Ort und Stelle“ platziert werden. Das folgende Foto zeigt Dir ein solches Raumbild einer Klientin zu ihrer aktuellen Paarbeziehung mit von ihr gewählten Platzhaltern.

Dieses Raumbild hat für Dich sieben entscheidende Vorzüge:

  1. Du bekommst einen besseren Abstand zum Thema und kannst in die sog. Beobachterperspektive gehen. Du steckst nicht mehr so tief drin, kriegst mehr Luft und schaust über den Tellerrand hinaus.
  2. Die Betrachtung von außen lässt Dich einerseits Vertrautes wiedererkennen, andererseits entdeckst Du immer auch etwas Neues. Je nachdem, wie offen und aufmerksam Du bist und wie erfahren diejenigen sind, die Dir beim Lesen des Bildes helfen, kannst Du sogar große Überraschungen erleben.
  3. Egal, wie Du Dein Bild anfangs stellst und ob Du denkst, Du könntest etwas verkehrt machen – das Bild ist immer richtig! Und zwar in dem Sinn, dass es entscheidende Impulse in sich birgt, die Dir auf Deinem Weg weiterhelfen.
  4. Ob nun Bekanntes oder Unbekanntes im Vordergrund steht, in jedem Fall entfaltet das Bild zumeist eine starke Ausdruckskraft und kann heilsame Emotionen freisetzen. Denn wie heißt es doch so schön: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“.
  5.  Das Bild bzw. das mit ihm dargestellte Beziehungsgefüge lässt sich so lange umgestalten, bis Du Dich wohler oder sogar rundum zufrieden fühlst. Nicht unbedingt nur Du, sondern auch andere Beteiligte im Bild – denn es geht bei einer systemischen Aufstellung immer um das Wohl aller Beteiligten.
  6. Wenn menschliche Stellvertreter mitmachen und die jeweiligen Plätze, um die es geht, einnehmen, kommt das Bild ganz von selbst in Bewegung und führt Dir Dein akutes Drama, Dilemma oder sonstiges Muster vor Augen, an dem Du wachsen sollst. Das Faszinierende daran ist: Die Äußerungen der Stellvertreter/innen wirken normaler Weise so zusammen, dass das gestellte System aus sich heraus zu einer Besserung der Situation tendiert.
  7. Jede Aufstellung dient also immer sowohl der Diagnose als auch der Lösung.

Ähnlich wie ein Trainer für das nächste Spiel um die beste Aufstellung für seine Mannschaft ringt, suchst Du mit Deiner Aufstellung nach dem besten Platz für Dich in der nächsten Runde des großen Spiels, das Leben heißt.

Was heißt hier systemisch?

„Systemisch“ wird oft verwechselt mit „systematisch“. Wobei es definitiv nicht schadet, wenn eine Aufstellung von systematischen Überlegungen begleitet wird und dadurch Kopf und Bauch, Hand und Herz eine fruchtbare Verbindung eingehen. Doch in erster Linie bedeutet „systemisch“, dass die Aufstellung auf ganze Systeme ausgerichtet ist und nicht auf irgendwelche isolierten Teile. Du selber bist schon ein hochkomplexes System. Außerdem bilden alle Gemeinschaften, denen Du angehörst, Systeme, die nach bestimmten Prinzipien funktionieren – z.B. Deine Herkunftsfamilie, Deine Gegenwartsfamilie, Dein Betrieb, Dein Verein oder Deine Nachbarschaft. Und die greifen oft auch noch ineinander. Das gesamte Leben spielt sich in Systemen ab. Deshalb gelingt auf Dauer das gute Leben auch nur, wenn Du mehr von den entscheidenden Wechselwirkungen verstehst und Gebrauch machst, die innerhalb von und zwischen Systemen entstehen. Die Aufstellungsarbeit hilft Dir dabei.

Systemisch an ein Thema heranzugehen, heißt auch, dass es keine Bösen und Schuldigen gibt, sondern einfach Beteiligte, die alle auf ihre Art und Weise zu Problemen und Lösungen beitragen können.

Warum lohnt es sich immer, auf Beziehungen zu schauen?

Bei jeder Aufstellung geht es um Beziehungen, nicht nur bei den klassischen Beziehungsproblemen. Denn wie gesagt: Alle Teile eines Ganzen stehen in Beziehung zueinander. Alles hängt mit allem zusammen, ob Kontakt besteht oder nicht, ob jemand noch lebt oder schon gestorben ist.

Eine Familie mit Papa, Mama, Sohn und Tochter – das sind intern schon sechs verschiedene Beziehungen. Was zwischen Sohn und Tochter passiert oder was der Sohn in seiner Klasse erlebt und wie viel er dort versteht, kann immer eine Folge von dem sein, was zwischen Papa und Mama los ist. Auf dem Skizzenfoto ist der Papa ziemlich weit weg, so dass der Sohn nahe bei der Mama ist, damit sie nicht so allein ist. Das lenkt ihn von der Schule ab. Der Papa schaut sehr auf die Schule und vernachlässigt seinen Sohn und dessen Bedürfnisse.

In den Beziehungen als Dreh- und Angelpunkt steckt eine großartige Nachricht: Wenn es mit der Aufstellung gelingt, die Beziehungen der Menschen zueinander zu verändern, dann verändern sich häufig auch die Verhaltensweisen der Personen, die als störend erlebt werden, oder sogar ihre Ausstrahlung, ihre gesundheitliche Verfassung oder manche Eigenarten. Nichts muss zwangsläufig so bleiben wie es ist.

Welche Themen kannst Du aufstellen?

Grundsätzlich kommen alle Lebensthemen für eine Aufstellung in Betracht. Am bekanntesten sind die Familienaufstellungen und Organisationsaufstellungen. Vielleicht regt Dich der folgende Überblick über die Themen an, mit denen die Menschen am häufigsten zu uns kommen:

Themenübersicht:

  • Beziehungsprobleme in der Partnerschaft, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern oder sonstigen Angehörigen
  • Meistern von Übergängen wie Zeugung, Schwangerschaft, Geburt, Tod, Umzug oder Trennung
  • persönliche Entwicklung rund um seelisches Befinden, eigene Gefühle, innere Anteile, Sexualität oder anstehende Lebensentscheidungen
  • gesundheitliche Themen wie z.B. schwere Krankheiten, ständig wiederkehrende Symptome oder gesunde Lebensführung
  • berufliche Themen wie kollegiale Beziehungen, Beruf und Berufung oder Selbstständigkeit
  • Schule, Ausbildung und Weiterbildung
  • finanzielle Themen (Erbschaft, Kauf und Verkauf von Immobilien, wirtschaftlicher Erfolg, Geldfluss, Reichtum)

Darüber hinaus können auch Haus und Hof allgemein, Technik, Tiere und Pflanzen, Politik und Gesellschaft zum Thema werden.

Systemische Aufstellungen funktionieren m.E. deshalb in sämtlichen Lebensbereichen, weil sich das ganze Leben in Systemen abspielt. Sie funktionieren auch überall, ob in Europa oder in einem anderen Erdteil.

Selbstverständlich kommt es bei jedem Thema darauf an, dass es Dir wirklich am Herzen liegt und ein persönlichen Bezug besteht. Außerdem muss es klar formuliert und eingegrenzt sein.

In welcher Form findet eine Aufstellung statt?

Wir stellen Dir hier drei Formen der systemischen Aufstellungsarbeit vor: die Gruppe, die Einzelarbeit und die Aufstellung in Eigenregie.

Gruppe

Die bekannteste Form ist die meist ein- bis dreitägige Aufstellungsgruppe mit professioneller Leitung. Daneben gibt es auch Gruppen, in denen Aufstellungen selbstorganisiert ablaufen – die sog. freien Aufstellungen. Die Gruppen sind typischer Weise themenoffen, können allerdings auch Themenschwerpunkte haben. Die Gruppen bestehen i.d.R. aus Teilnehmern/innen, die ihr eigenes Anliegen bearbeiten wollen, und aus solchen, die ohne persönliches Anliegen mitmachen. Die Gruppe ist so organisiert, dass alle, die für einen Aufstellungsplatz vorgemerkt sind, auch drankommen.

Gruppen bieten Dir sechs Vorteile:

  1. Es stehen Dir eine größere Zahl von Personen als Stellvertreter/innen zur Verfügung (siehe auch den nächsten Abschnitt zum Ablauf).
  2. In den Themen der anderen Teilnehmer/innen stecken oft wertvolle Hinweise für Dich und Dein Leben. Aus jeder Aufstellung lässt sich etwas über das Leben lernen. Viele gehen auch ohne eigene Aufstellung bereichert nach Hause.
  3. Die Gruppe entwickelt eine besondere Kraft, die jede/n einzelne/n trägt.
  4. So wie wir unsere Gruppen gestalten, entsteht darüber hinaus eine sehr wertschätzende Atmosphäre, die die gegenseitige Offenheit fördert, für starke Verbundenheit sorgt und oft weit über die Tage des Zusammenseins hinaus positiv ausstrahlt. Es können Freundschaften oder Kooperationen entstehen.
  5. Hochkomplexe und vielschichtige Angelegenheiten lassen sich in einer Gruppe erheblich leichter bearbeiten.
  6. In der Familie vergessene, vergrabene, verleugnete oder verheimlichte Geschehnisse sind in einer Gruppe am leichtesten zu entdecken (sofern sie für die Lösung wichtig sind).

Einzelarbeit

Daneben gibt es Aufstellungen im sog. Einzelsetting, in dem ein Coach bzw. eine Therapeutin den Klienten bzw. die Patientin systemisch begleitet. In unserer Praxis arbeiten wir auch mit Paaren bzw. mehreren Familienmitgliedern.

Diese Form hat ihrerseits Vorteile:

  1. Dir steht viel mehr Zeit zur Verfügung, um über Dich und Dein Anliegen zu sprechen.
  2. Die besonders geschützte Atmosphäre macht es Dir leichter, Dich über die Dinge zu äußern, die Dir unangenehm sind.
  3. Du hast mehr Raum, um Verhaltensstrategien zu entwickeln, die sich aus der Aufstellung ergeben können.

Aufstellung in Eigenregie - Selbstaufstellung

Noch wenig bekannt ist die „Selbstaufstellung“. Dabei handelt es sich um eine Aufstellung, die Du in Eigenregie für Dich durchführen kannst. Wir messen dieser Form eine große Bedeutung bei und setzen darauf, dass sie sich in Zukunft noch viel stärker verbreiten wird.

Das sind ihre Vorteile:

  1. Du kannst jederzeit aktiv werden und bist auf keine fixen Termine angewiesen.
  2. Du stärkst das Vertrauen in Dich, Deine Eigenständigkeit und Deine Selbstheilungskräfte.
  3. Du entwickelst Deine Fähigkeiten zur Auseinandersetzung mit Dir selbst weiter.
  4. Du hast keine oder nur geringe Kosten.

Wie läuft eine Aufstellung typischer Weise ab?

Der Ablauf einer Aufstellung hängt stark von der sozialen Form und vom Stil der Leitung ab. Klassischer Weise beginnt die Arbeit zunächst mit der Klärung des Themas. Dazu gehört auch die Festlegung, welche Personen oder sonstigen Elemente das Anfangsbild beinhalten soll. Wenn der Rahmen einer Gruppe gegeben ist, wählt die aufstellende Person (Klient/in) im nächsten Schritt Stellvertreter/innen dafür aus und gibt ihnen nach der inneren Vorstellung einen Platz im Raum. Die Stellvertreter/innen dürfen sich anschließend entweder frei bewegen und äußern oder nur auf Geheiß des Leiters. Ich persönlich lasse viele Ausdrucksformen bei den Stellvertretern/innen zu.

Die gezeigten Bewegungsimpulse, Blicke, Gefühle und sonstigen Körperreaktionen im gestellten Bild oder bei dem Klienten oder der Klientin selbst verändern das Ausgangsbild und weisen den Weg sowohl zum Kern des Problems als auch schrittweise zu seiner Linderung oder Wandlung. Der Leiter kann diesen Prozess durch sog. Interventionen unterstützen, indem z.B. Stellvertreter umgestellt, Kränkungen oder Bitten in Worte gefasst, versöhnende Gesten vollzogen oder Personen heraus- bzw. hinzugenommen werden.

Am Ende steht im Idealfall ein lösendes Bild, das Frieden und/oder Freude ausstrahlt und für alle Beteiligten angenehm ist. Spätestens dann „betritt“ der/die Klient/in das Bild und spürt von dort aus noch einmal nach, was sich für ihn/sie positiv verändert hat.

Doch auch während der Suche nach der Lösung kommt es darauf an, den/die Klient/in intensiv am Prozess teilhaben zu lassen: Ist er/sie noch voll dabei? Versteht sie die Vorgänge? Welche Aha-Effekte gibt es? Wie stark ist die emotionale Berührung? Die Aufstellung endet, wenn er/sie tief in das neue Bild von der gestellten Lebenssituation eintauchen und es annehmen kann. Anschließend werden die Stellvertreter aus der Aufstellung entlassen. Den Ausklang bildet häufig ein kleines Nachgespräch.

Allerdings ist keine einzige Aufstellung planbar. Von dem beschriebenen Grundmuster kann es von Fall zu Fall verschiedenste Abweichungen geben. Bei der Selbstaufstellung und teils auch in der systemischen Einzelarbeit kommt der/die Klient/in schon von Anfang an ins Raumbild mit hinein und entwickelt es aktiv von innen her mit.


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